Sie nimmt es in die Hand, wirft einen zerstreuten Blick darauf, schiebt es in die Tasche. Sie holt es zurück, überblickt es prüfend, glättet und faltet es und nimmt es in die andere Hand, um nach ihrem Smartphone zu greifen. Sie telefoniert, spielt mit dem Säcklein, schwenkt es gedankenverloren, umgreift es mit der vollen Hand, lässt es fallen, hebt es auf, legt es liebevoll auseinander, schiebt die schlaufenbewehrten Ende hin und her, bis ihr die Lage zu passen scheint, ergreift eine Schlaufe und zieht daran, klemmt sich das Smartphone zwischen Schulter und Ohr, wirft einen prüfenden Blick auf die Umgebung, ergreift mit der nun freien, wenngleich in ihrem Spielraum beengten zweiten Hand das baumelnde zweite Ende und stülpt sich das Säcklein über Augen und Nase, zieht daran, bis auch der Mund bedeckt ist, zupft erst das linke, dann das rechte Auge frei, schiebt, immerfort telefonierend, das untere Ende nach oben, bis der Mund, offenbar um ungehindert sprechen zu können, frei liegt, fasst ins Zentrum des Tüchleins, also dorthin, wo die Beule, hinter der sich die Nase verbirgt, ihr größtes Ausmaß erreicht, und zieht daran, bis ein gewisser Abstand zum Gesicht hergestellt ist, dann lässt sie los. Diesen Vorgang wiederholt sie, immerfort telefonierend, bis die Hand, sanft ermüdet, die Lust daran verliert und am Haar zu nesteln beginnt. Ein Fahrgast geht vorbei, sie hebt den Blick, schlägt ihn nieder, atmet zur Seite und bedeckt schuldbewusst lächelnd den Mund. Ein langer Blick aus dem Fenster entlohnt die Umgebung für die ausgestandene Qual. Wäre ich Virus, ich erlebte in diesen Momenten alle Höhen und Tiefen der Existenz.

Draußen, vor dem Fenster, tummeln sich, während die Fassaden der Stadt im Rhythmus der Haltestellen vorbeigleiten, die anerkannten Gespenster der internationalen Virologenschaft. Sie ziehen ernste Gesichter und wälzen, neueste Messverfahren im Sinn, das Aerosol-Problem, während die nicht anerkannten im Hintergrund Faxen machen und der jungen Frau Mut zum Ungehorsam zuzusprechen versuchen. Sie verunsichern sie aber nur. So beginnt sie erneut zu zupfen, links, rechts, oben und unten und in der Mitte. Denn bei diesem Ding, soüberlebensnotwendig es nun einmal sein muss, weiß man nie, wann es sitzt, und sollte es sich endlich perfekt anfühlen, dann, gerade dann wäre es am wenigsten zu brauchen.

Notizen für den schweigenden Leser

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