Ich verstehe nicht – so könnten viele Überlegungen beginnen, die dann in ein eklatantes Verstehen ausschlagen, ohne alle Garantie, in Wahrheit nicht einem Missverständnis Vorschub zu leisten. Postcolonialism zum Beispiel, die popularisierte und dämonisierte Version der guten alten ›Postcolonial Studies‹, hat die Bücher zugeschlagen, die Konferenzräume hinter sich gelassen, in denen das Schnorrertum bizarrer Regime jahrzehntelang die Vertreter der (stets auf ihre Kosten kommenden) ›Geberländer‹ zu den erstaunlichsten Sprachverrenkungen trieb, und hat die Straße erobert. Voilà! Ein Schlechtwetter-Sommer genügt, um die Fridays-for-Future-Grüppchen zur Sturmtruppe des antirassistischen Kampfes umzuformen, als gelte es, wenigstens in Europa endlich die Sklaverei abzuschaffen, nachdem sie in den USA unter Trump neuerdings so prächtig zu gedeihen scheint.
Auch da lauert das Missverständnis.
In den ausgeprägten Schamgesellschaften des Westens, in denen die Geschäfte der Schamlosen so unverzeihlich gut gedeihen, dass sie den Maulkorb ohne großen Einspruch zum Erkennungszeichen ihrer Hintersassen erheben konnten, bedeutet Moral nichts weiter als das Aufstellen von Schamfallen für andere (in die man als Gesinnungswächter gelegentlich selbst gerät, so dass man sich genötigt sieht, eine Runde auszusetzen): Du bist kein Rassist, also bekenne, dass du es bist. Und, schau an, nach und nach begreift der eine oder die andere, was das bedeutet – die Selbstauslieferung gestandener Existenzen an den ›Élan vital‹ einer Jugend, die ›begehrt, nicht schuld daran zu sein‹ – an was auch immer. Diese ›Kinder‹ wissen instinktiv um die größte Schwäche ihrer Mitwelt: die gut versteckte Angst, vor der schieren Potenz der Nachrückenden Blöße zu zeigen. Die sexuelle Kraft im Jungsein darf niemals benannt werden, sie fällt selbst unter das größte Tabu. Wer auf sie ›abhebt‹, wird gleich als Sexist verrissen.
Wie immer dient das Tabu der Entgrenzung von Macht, da mögen die demokratischen Spielregeln lauten, wie sie wollen. Ein Mohr ist ein Mohr ist ein Mohr. Wer privat nun einmal so heißt, er darf öffentlich mit seinem Namen hadern oder mit denjenigen, die ihm das Hadern mit dem Namen eingebracht haben – der Hader bleibt und er bleibt auch dann an ihm haften, wenn er zum Gaudium der Vielen mit der Linken das Geschichtsbuch, mit der Rechten das Familienbuch emporreckt, um sich – ja was wohl? – zu entlasten. Wer bin ich? mag so einer denken. Bin ich ein Schaumgebäck oder eine Straße oder eine U-Bahnstation auf dem Weg ins Delirium des 22. Jahrhunderts? Bin ich kein Mensch? Er trifft da einen empfindlichen Nerv.