Dass die Moralbegriffe sich aus Herkunfts- und Machtverhältnissen herleiten, dieses Mantra der Nietzscheaner leuchtet auch unbedarften Interpreten aus dem Wort ›nobel‹ entgegen, das alle Gleichheits- und Gerechtigkeitsstürme des vergangenen Jahrhunderts unbeschadet überstehen durfte, als liege ihm eine verborgene Lizenz zum Ungleichsein zugrunde. Gar so verborgen kann sie nicht sein, wenn man bedenkt, dass immer neue Kindergenerationen mit Hexen, bösen Geistern, Lichtelfen, Prinzessinnen und Prinzen heranwachsen, um in ihre Alltagsrollen hineinzufinden, die von alledem nichts zu wissen scheinen. Doch der Schein trügt bekanntlich, weil … nun ja, weil er der Schein ist. Ob äußere oder innere Vornehmheit, Vornehmheit der Herkunft oder des Geistes – respektive, warum nicht, des Körpers, auch das kommt vor –, der Manieren oder der Gesinnung, sie lassen sich leicht auseinander dividieren, ohne dass der definitive Schnitt jemals gelänge. So erhält man auf die Frage »Was ist nobel?« selbstverständlich eine noble und eine weniger noble Antwort. Nobel ist sinnigerweise diejenige, der es gelingt, über den mit Händen zu greifenden Zusammenhang hinwegzugleiten, ohne ihn, es sei denn mit einem Augenzwinkern, auch nur zu streifen, weniger nobel hingegen eine, die den Machtstoff in die letzten Residuen des Moralischen hinein verfolgt. Insofern bleibt Nietzsche, der Apologet des Vornehmen, sein plebejischer Interpret. Lichtjahre davon entfernt, die Mächtigen an die sich aus Stellung und Vermögen ergebenden Verpflichtungen zu erinnern, ›enttarnt‹ er letztere kurzerhand als Heuchel-Nummer, zustande gekommen unter dem Diktat einer ressentiment­geladenen Religion: ein übler Missgriff, dessen gelehrige Profiteure in Politik und Gesellschaft nicht auf sich warten ließen. Bekanntlich sind die Übergänge zwischen Aufgeklärtsein und Abgebrühtheit fließend, wobei die Brühe, artige Gefährtin der Schwerkraft, abwärts fließt. Entsprechend findet Macht stets Mittel und Wege, die dem aufgeklärten Menschenbild geschuldete Gleichheit für sich arbeiten zu lassen, statt sich ihrem Diktat zu unterwerfen – gegenwärtig gut ablesbar an einer Hygienemaßnahmen-Praxis, welche dem distancing-geübten Beobachter prägnant darüber Auskunft gibt, wes Geistes Kind die Akteure der Krise sind und welche Krisen sie sich gerade zu meistern entschlossen haben.

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