Wie sensibel ist Sprache? Der Satz scheint, mit Verlaub gesagt, unsensibel zu sein. Was wäre sensibler als die Sprache? Alle Sensibilität sucht nach Ausdruck, nach körperhaftem Ausdruck, um genau zu sein, und das mit Abstand Differenzierteste, was dem nach Ausdruck verlangenden Menschen zur Verfügung steht, ist nun einmal die Sprache. Das geht, wie jeder weiß, so weit, dass in Situationen des Überschwangs der Gefühle die Sprache abreißt: Sie wird als störend empfunden, weil sie differenziert, wo nicht mehr differenziert werden soll. Und nicht nur als störend, sondern als peinvoll und peinlich in einem: »Kannst du nicht endlich ruhig sein?« Nein, kann es nicht. Die Sprache gibt keine Ruhe, selbst wenn der (oder die) Andere kurzfristig schweigt. Sie plappert im Verborgenen weiter, sie weiß es besser, sie wird, über kurz oder lang, die Rede auf das Geschehene bringen und es einzusortieren wissen: Sie kann nicht anders. Das gilt, nebenbei, für alle Versuche, sie zu normieren. Auch wenn es in gewissen Fällen ein schwer zu lüftendes Geheimnis darstellt: Irgendwie ist Sprache mit Denken verbunden, und Denken, so es denn seine Bezeichnung zu Recht trägt, ist Weiterdenken, nicht Wiederkäuen eines einmal Normierten.

Denknormen, wo es sie gibt, sind Sinterungen vergleichbar: Wo viele Gedanken abgetropft sind, da bleibt, peu à peu, auch etwas hängen, ein wenig Kalk sozusagen. Ja, es setzt Kalk an, das Denken, hier und da kommt es zu mächtigen Trauben, die wir Besucher aus den Weiten des hermeneutischen Universums Kultur nennen; sie behalten, bei aller Schönheit, immer auch etwas Bizarres, sie sind ›eigen‹. Was wir Besucher da sehen, ist auch Sprache, Sprache in ihrem lebendigen Gebrauch, und dennoch haftet ihr etwas Anorganisches, manche finden, etwas Totes an, und einige Unentwegte beschließen in schöner Regelmäßigkeit: Das muss sich ändern. Was muss sich ändern? Vor allem: Wer kann das ändern? Im Prinzip jeder, denn jeder Sprachgebrauch wirkt auf die Realgestalt der Sprache zurück und verändert sie, wenngleich in der Regel nur in winzigen, submikroskopischen Spuren. Allerdings sind, wie wir wissen, in der Gesellschaft nicht alle gleich – spätestens wenn sich Behörden der Sache annehmen, wird an den Stalaktiten und Stalagmiten der Kultur herumgeschlagen, als habe man noch ein paar andere im Keller liegen oder als gelte es, einen black (oder white) cube an ihre Stelle zu setzen. ›The cube‹, der Kubus: lange schon Sinnbild einer purifizierten Kultur, Emblem für eine purifizierte, eine aseptische Welt, in der das Denken seine ursprüngliche Tätigkeit eingestellt hat, wie auch immer der Rest, denn ein menschlicher Rest bleibt stets, dann gedacht werden mag.

Doch so weit denken Sprachnormierer, vor allem, wenn sie mit Amtsgewalt ausgestattet sind, nicht oder selten. Ein schönes Beispiel dafür bietet das Gender-Sternchen, das nun offenbar mit aller Gewalt in die Schulen und Amtsstuben der Republik gedrückt wird. Es muss, bei allem Schreibeifer, am Ende auch gesprochen werden und es wird, selbst von den größten Eiferern, als Unterbrechung im Sprechfluss, als ›Pause‹ gesprochen. An dieser Stelle also pausiert die Sprache, pausiert das Denken, pausiert demnach die Sache, die bekanntlich nur im Denken existiert, da der Sexus, die biologische Seite der sexuellen Identität, gerade das Ausgesperrte ist – das, worüber nicht gesprochen werden darf (wie Biologen, die glauben, sie hätten zum Thema auch etwas beizutragen, in schöner Regelmäßigkeit von einer zürnenden Öffentlichkeit erfahren). Und das geschieht allen Seiten ganz recht. Identität, die nicht im Fluss bleibt, das wusste bereits der platonische Sokrates, ist ein hölzernes Eisen, ein Gedankending ohne den geringsten Realitätsgehalt. Aber ist das nicht die Botschaft des Genderns? So zumindest war es einmal gedacht, deshalb sollten vor allem diejenigen über die vor ihren Augen sich abspielende bürokratische Farce betrübt sein, die es einst mit auf den Weg gebracht haben. Denn sexuelle Identität, dieses inner- wie außerhalb aller Glaubensrichtungen mächtigste Agens der säkularen menschlichen Existenz, wird von allen Menschen auf dem Planeten (und innerhalb der verschiedenen Kulturen) gestaltet. Und nicht nur das: Sie alle haben gleiches Recht darauf, sich Gehör zu verschaffen und damit ihre Sprachspur zu legen – ob es den Verantwortlichen passt oder nicht. Kein Mensch verfügt über mehr oder weniger ›Gender‹ als sein Nachbar oder seine vorgesetzte Dienststelle. ›Sensible‹, in den Alltagsbereich ausstrahlende Dienstsprachen, die mehr Menschen in Fragen der Identität vor den Kopf stoßen, als sie erreichen, sind, das zumindest kann gesagt werden, erstaunlich dysfunktional.

Es ist demnach Anmaßung, was sich da vor unseren Augen abspielt, Anmaßung sich vom ideologischen Schönsprech nährender Cliquen, Anmaßung einer doxa-getriebenen, den eigenen Widerspruch stumm herunterschluckenden Herrschaftskaste, die sich der üblichen bürokratischen Eingriffsmöglichkeiten bedient, um das Geschlechtswesen Mensch an dieser empfindlichen Stelle seiner Sprache und damit seinem Ausdrucks‑ und Gestaltungsmittel Nr. 1 zu entfremden. Denn am Ende aller vergeblich bestrittenen Debatten steht die Erkenntnis: Es geht um Entfremdung und sonst nichts. Wo Entfremdung ist, da ist Herrschaft, wo Entfremdung stattfindet, da etabliert sich Herrschaft, wo sich Herrschaft etabliert, da haben die ›Betroffenen‹ allen Anlass … nein, nicht nachzufragen, über dieses Stadium sind alle Seiten hinaus. Was dann? Gibt es ein grundgesetzlich festgelegtes Recht auf den unbefangenen Gebrauch der eigenen Sprache? Wunderlich, dass gerade dieses wichtige Recht keinen eigenen Paragrafen gefunden hat. Mit der sprachnormierenden Gewalt des NS-Ideologiestaates hinter sich und der manipulativen Sprachpraxis des konkurrierenden Sowjetsystems gleich nebenan hätte es ein Leichtes sein sollen, es festzuschreiben. Implizit allerdings ist es sehr wohl im Katalog der Grundrechte enthalten: ein Thema, das Juristen nur wärmstens empfohlen werden kann.

Um auf den black respektive white cube zurückzukommen – im Kulturellen gilt der Satz: Was als Asepsis beginnt, kann nur als Vergiftung aller enden. Ein unschönes Beispiel bietet just die Schwarzweiß-Metaphorik, die von berufener, sprich: selbst‑ oder unberufener Seite gerade mit Macht diskreditiert wird – angeblich aus rassismuskritischer Absicht. »Ex oriente lux« – damit wäre dann wohl die sozialistische Weltutopie als implizit rassistisch enttarnt. Nein, die in allen Kulturen wirksame Metaphorik von Tag und Nacht lässt sich nicht ›dekonstruieren‹. Kamen nicht auch, wenn man den Archäologen Glauben schenken darf, die dunkelhäutigen Vorfahren der heutigen Weißen Europas ›von Sonnenaufgang‹? Wem da ein »Aha!« entfährt, der sollte wissen, dass er, wie es in der Sprache der sozialen Medien heißt, ›den Troll füttert‹. Man sollte es lassen. Nicht lassen sollte man es, den Mix aus plumper Anmache und subtiler Machtpraxis beim Namen zu nennen, der hier fröhliche Urständ feiert.

Notizen für den schweigenden Leser

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