Kleine Ergänzung: Die Zeit, in der das Gatter, unbemerkt von den Schafen, schon offen steht, ist auch die Zeit, in der sie sich wie Löwen aufführen, zumindest gegenüber gewitzteren Zeitgenossen, deren Wahrnehmung bereits weiter ist und die daher ›nicht länger schweigen wollen‹.

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Wie nennt man ein Land, dessen ›Elite‹ denkt, es sei besser, andere für sich denken zu lassen als selbst zu denken? Wie bei allen großen Fragen scheitert die Antwort auch hier daran, dass bereits die Ausgangshypothese von denen bestritten wird, an deren Verhalten sie abgenommen ist. Wenn man sie fragt, sind alle Selbstdenker. Wenn man sie nicht fragt, hat sie halt keiner gefragt.

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Man kann die Existenz eines jeden Tabus bestreiten, wenn neben jedem Pulk von schamhaften Schweigern ein Quatschkopf zu stehen kommt, dessen Redefluss ungehindert fortläuft. »Aber er spricht sich um Kopf und Kragen.« »Ja und? Das wolltest du doch.« Tabugesellschaften erkennt man an ihrem Narrensaum. Davon gibt es sehr unterschiedliche Sorten.

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Wenn die Narren von Opfern sprechen, sprechen die Wohlmeinenden von Geretteten. Et vice versa. Woran erkennt man die Narren? Woran die Wohlmeinenden? An den Fremdzuschreibungen? Weit gefehlt. Man erkennt sie an den Statistiken. Aber man muss sie lesen können.

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Ungesühnt bleibendes Unrecht kann den, der davon weiß, närrisch machen. Was also spricht dagegen, ihn in den Wahnsinn zu treiben, damit das Unrecht ungehindert fortexistiert? Dabei ist es gar nicht nötig, da der Anschein des Wahnsinns genügt, um die Menschen von gefährlichen Ansichten fernzuhalten. »Das wäre Wahnsinn«, sagen die Nüchternen, die nicht behelligt sein wollen, und setzen ihren Weg fort.

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Dem anderen den Verstand absprechen heißt sich ins Unrecht setzen. Das zu konstatieren reicht jeder Verstand.

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Wer dem anderen sinistre Absichten unterstellt, weil er sich scheut, ihm den Verstand abzusprechen, riskiert, dass der andere sich doppelt bloßgestellt fühlt und entsprechend zurückkeilt. Zeiten soll es geben, da schwärmen Regierungsmannschaften aus, um diesen Mechanismus zu bedienen.

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Man hat die Gesellschaft, deren Politik sich dem Wohlstand der Vielen verschrieben hat, postheroisch genannt. Heute lohnt es sich, sie ›protoheroisch‹ nennen: In ihrem Bauch bereitet sich der Wohlstand der Wenigen vor, denen die Vielen wenig mehr als unnütze Esser gelten, die am besten verschwinden würden. Merke: ›heroisch‹ nennt man Gesellschaften, in denen das Leben der Vielen rapide im Wert sinkt. Man müsste sie ›antiheroisch‹ nennen, weil der verhängte Heroismus der Vielen so etwas wie das Heroin der Wenigen liefert, die an keiner Gefahr teilzunehmen gedenken. Ein Maxwellscher Dämon wäre geneigt, ein paar Lieferketten zu unterbrechen, um zu erfahren, was dann geschieht.

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Es kann schon sein, dass die politischen Ideen ausbuchstabiert sind. Es geht ihnen dann nicht anders als den sexuellen. Man schaufelt die Bestände aus einer Pathologie in die nächste.

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Die letzten werden die ersten sein. – Exakt dieses Schicksal hat sich an Nietzsches ›letzten Menschen‹ vollzogen. Woran man erkennt, dass sie tatsächlich in einer Art Jenseits leben –: jenseits des Mondes, des alten Menschenfreundes. Sie hat keine Freunde mehr, die Gemeinschaft der letzten Menschen. Das ist das unbekannte Terrain, auf dem sie sich bewegt.

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Patriotismus ohne Patria. Das Schicksal, expatriiert zu werden, ohne den Fuß vor die Tür zu setzen, bloß durch Zeit und Umstände, für die keiner die Verantwortung übernimmt, obwohl alle einschlägigen Entscheidungsträger an ihnen mitwirken, erzeugt Verlustschmerzen, deren Ausdruck von denen, die das Sagen haben, im voraus geächtet wird. Woher wissen sie…? Vielleicht, weil ihnen gerade das eine Lust ist, vielleicht die Lust schlechthin, die alle anderen toppt? Die Wollust des Leidenmachens, gemeinhin Sadismus genannt, sollte auch einmal die politische Leiter erklimmen können. Fragt man nach dem Motiv, dann stößt man auf das wohlbekannte Phänomen der Blase: Wer nichts empfindet außer der Seligkeit, am Drücker zu sein, der will doch einmal Wirklichkeit kosten.

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In der Informationswelt ist selbst die ›Botschaft‹, eine Wasserstoffbombe könne in der Ostsee gezündet worden sein, nur ein flackernder Lichtpunkt – winzig, offenbar nicht der Rede wert. Das wäre mit Sicherheit anders, könnte man die andere Seite verdächtigen, es getan zu haben. Wer das für Abgebrühtheit hält, der muss die Mitmenschen für sehr abgebrüht halten. Besser ist es da, den Grund in den Wahrnehmungsmechanismen zu suchen. Die Wasserstoffbombe, so real sie sei, wird darin bloß zu einer weiteren Metapher der Informationswelt selbst, der einzig wahren Bombe, deren Explosion wir tagtäglich beiwohnen. Man verbrennt sich an ihr, wenn man die gebotene Distanz unterschreitet. Das ist zumindest die allgemeine Auffassung.

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