Eine spezielle Variante haben die amerikanischen Neokonservativen, kurz Neocons genannt, in den späten Neunzigern ins Spiel gebracht, die hierzulande gern als Neoliberale bezeichnet werden, obwohl sich ihr Liberalismus weitgehend auf die Freiheit privater Aneignung, sprich: grenzenloser Bereicherung beschränkte. Aber auch die Zugehörigkeit zu den Conservatives war und blieb schütter: Ihr unverhohlener, militärisch unterfütterter Imperialismus, der als Globalismus bis heute die meisten Ökonomien der Welt dominiert, hat es aufs Prächtigste verstanden, sich mit ›linken‹ Programmen zu verbinden und mit der demokratischen Partei der Obama und Biden gemeinsame Sache zu machen. Darüber hinaus ist es ihm gelungen, sich in EU und WEF gefügige Instrumente zu verschaffen. Das ›linke‹ Ungenügen am klassischen Nationalstaat und die auf grenzenlose Kommunikation gebaute Netzgesellschaft mit der sich permanent weiter öffnenden Reichtumsschere sind einen Teufelspakt eingegangen, der seit mehr als einem Jahrzehnt zuverlässig zwischen den Staaten und innerhalb der Gesellschaft Spannungen generiert, über deren notwendige Korrektur bislang nur phantastische Vorstellungen kursieren.

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Das alles liegt seit längerem auf der Hand. Weniger zutage liegt das Dilemma des vom linksgrün-neoliberalen Mainstream bis aufs Blut bekämpften neuen Konservatismus, für den in den USA der Ex-Präsident und erneute Präsidentschaftskandidat Trump, in Europa Namen wie Victor Orbàn oder Giorgia Meloni stehen. Diese Bewegung hat sich, obwohl im Kern pragmatisch an den Bedürfnissen der Mittelklassegesellschaft ausgerichtet, auf einen Kampf der Werte eingelassen, der sonderbare Symmetrien mit sich führt, nach dem Motto: Der erste, der das Wort ›Fake News‹ für den ideologischen Kampf mobilisierte, war ein Genie, der tausendste ein Idiot. Soll heißen: Hier ist ein Kampf der ideologischen Zwillinge entbrannt, der alle Kennzeichen des von Girard beschriebenen Sündenbockmechanismus trägt und auf eine gewaltsame Entladung hintreibt. Darauf scheint schon die massive Inanspruchnahme von Jurisdiktion, Polizei und Geheimdiensten durch die ›Herrschenden‹ hinzudeuten, vor allem aber die Keule eines immer rigidere Züge annehmenden Sprachregimes, in dem die Symbiose staatlicher, halbstaatlicher und privater Verfügungsinstanzen geradezu mustergültig zur Ausstellung gelangt. Wer dem Anderen die Sprache verbietet, steht nicht im Verdacht, dem Modell eines gütlichen Ausgleichs anzuhängen, gleichgültig, wieviel Honig aus seiner Rede tropft. Der exzessive, fast vollständig sinnentleerte Gebrauch von hochgradig aufgeladenen Wörtern wie ›Nazi‹ in alltäglichen Auseinandersetzungen spricht seine ganz eigene Sprache.

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Man kann diese Entwicklungen pauschal als ›Pervertierung‹ des Rechts auf freie Meinungsäußerung beschreiben und liegt damit sicher nicht falsch. Die Crux dabei ist, dass man sich selbst auf den schlüpfrigen Pfad der symmetrischen Zuschreibung begibt. Es ist pervers, die Sprache des Gegners in toto ächten zu wollen, es trägt aber auch perverse Züge, dem Gegner die Tendenz zur Totalisierung vorzuwerfen, ohne sie hinreichend belegen zu können – wogegen die Gegenseite ganz einfach Vorsorge treffen kann, indem sie jeden Verdacht in diese Richtung ebenfalls unter Tabu stellt. Im Spiel der Sprachtabus zweiter und dritter Ordnung bleibt Meister, wer scheinbar die Sprache des gesunden Menschenverstandes spricht. Doch dem gesunden Menschenverstand (oder dem, was sich dafür hält) steht die Logik der augenblicklichen Machtverteilung und des daraus folgenden Vorteils in der Regel näher als irgendeine ihm abstrakt vorkommende Wahrheit, die er zu diesem Zweck gern mit Gänsefüßchen versieht. Auch das ist pervers und erinnert daran, dass es aufrechte, von Verbiegungen freie menschliche Gemeinschaften nirgendwo gibt. Was aus einem krummem Holz geschnitzt wird, kann nie ganz gerade werden: Man kann sich an diesen Kantischen Satz erinnern oder sich ganz dem biblischen Kontext anheimgeben, dem er entstammt. Faktum ist, dass Konformitätszwang zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Wege geht, aber niemals erlischt.

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Es ist eine einfache Regel: Wer aus einem religiösen, womöglich christlichen Weltbild heraus die Dinge beurteilt, wird zu anderen Ergebnissen kommen als jemand, dessen ›harter‹ Materialismus keine anderen Argumente zulässt als physikalisch fundierte Gewissheiten. Komisch wird es, wenn hartgesottene Wissenschaftsjunkies sich zu Glaubensgemeinschaften zusammenschließen und Religionsgemeinschaften ihren Schäflein einen nicht existierenden wissenschaftlichen Konsens als Heilspfad empfehlen. Leider ist für gewöhnlich niemand zur Hand, der die Komik genießen könnte. Das Gegenteil scheint der Fall: Je abstruser die Positionen, umso fanatischer werden die Überzeugungen und umso verbissener ihr Ausdruck. Die Deutschen als das ideologische Volk Europas laufen stets Gefahr, einem gesellschaftlichen Paroxysmus zu erliegen, aus dem sie aus eigener Kraft nur schwer herausfinden können. Dabei stünde in ideologicis beiden Seiten eine nüchterne, in Jahrhunderten philosophisch geschulte und geschliffene Sprache zur Verfügung – sie müssten sich ihrer nur zu bedienen wissen. Doch dieselbe Sprache ist auch eine des Raunens und des Rausches und auch diese Seite hat Tradition, so dass am Ende ein Konservatismus mit einem anderen kämpft – ein harter Glaube mit einem, der ihm an Härte nicht nachsteht.

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